Leben und Leiden mit der konservativen Therapie des Lipödems

Ein „ganz normaler Tag“ mit konventioneller Versorgung (ohne OP)

Lipödem Stadium 3 an Armen und Beinen seit 19 Jahren

 

einer Selbständigen, mit Familie und 2 Hunden

sagen wir mal im Frühsommer, bei 28 Grad...noch nicht so schlimm, wie es 2018 war

05.00 Uhr: Noch sehr müde, in die Kompressionshose einsteigen - 1 Stunde und hoffen, das mein Mann vom Lärm nicht aufwacht.

06.15 Uhr: Schnell ins Bad, bevor die Beine wieder voll laufen (Duschen mache ich abends, sonst haut das gar nicht hin).

06.30 Uhr: Kaffee! Ich brauche Kaffee! 10-25 Minuten Zeit, um die komplette Kompression anzuziehen - im Sommer sitze ich schon mal weinend vorm Ventilator beim Anziehen oder soll ich lieber reinquetschen sagen, weil es nicht hoch rutscht - trotz festem Ziehen - die Finger tun schon weh und haben Schwielen - je mehr ich schwitze, umso schlimmer wird es und die Angst, wenn es nicht 100% sitzt, reibt es die Haut wieder auf - ein Teufelskreis.
Eigentlich könnte ich jetzt schon wieder duschen, geht aber nicht, ich habe ja die Kompression an.

06.50 Uhr: Qi Gong im Sitzen, im Stehen geht nicht mehr, die Beine tun immer weh - auch in der Kompression - nur etwas weniger.

07.30 Uhr: Frühstück - selbstgebackenes, besonderes Brot (zum Glück ist welches im Tiefkühler) wegen der dauerentzündlichen Prozesse spezielle und sehr aufwendige Ernährung, alles selbst kochen, Weissmehl-, Zucker-, Soja-, Milch-, und Eiweißfrei - so weniger Schmerzen und Wassereinstau.

08.00 Uhr: PUHHH endlich auf dem Weg zum Kunden (im Auto) - Fliegen geht nicht mehr, lange Strecken im Zug auch nicht...Zahlreiche Projekte musste ich deshalb an Kollegen abgeben. Wenn ich mal reise ist ein Extrakoffer mit dem Kompressionsgerät immer dabei.


13.00 Uhr: Bin durch, Kunde hat keine Klima-Anlage - muss abbrechen, zum Glück hat der Kunde Verständnis.

14.00 Uhr: Wieder zuhause - würde die Kompression gerne ausziehen und duschen. Geht nicht, bekomme sie dann ja nicht mehr an - versuche es mit Nass-Spritzen der Kompression mit einer Blumenspritze...es erleichtert für ca. 5 Minuten - alles klebt, ich auch - kann so natürlich nicht mehr raus.

16.00 Uhr: War 2 Stunden im klimatisierten Wohnzimmer (mussten wir extra einbauen lassen, auch im Schlafzimmer) - habe wieder etwas Ruhe. Alles juckt, Haut geht an den Übergängen (Oberarme, Hände) schon wieder auf - AUA - lasse die Kompression trotzdem an.

18.00 Uhr: Habe wieder ein bisschen Kraft für Büroarbeit und Telefonate - mit Beine hoch auf dem Venenkissen und Laptop auf dem Bauch - zum Glück bin ich selbständig - als Angestellte wäre das sicher schwieriger.

18.30 Uhr: Mein Mann kommt, hat Lust raus zu gehen, leider muss ich ihm wieder einen Korb geben.
Alles tut weh, ich klebe und es ist immer noch viel zu heiß draußen.

19.00 Uhr: Wir essen im klimatisierten Wohnzimmer und ich schaue dem Sommertreiben draußen durchs Fenster zu.

21.00 Uhr: Gehe für 1-2 Stunden in die Facebook-Gruppen, um neuen Mitgliedern Tipps zu geben und mich selbst mit dem Thema „Op oder nicht OP“ zu beschäftigen. Vielleicht gibt es doch etwas, was noch ein bisschen erleichtern kann?

21.30 Uhr: Mein Mann geht mit den Hunden raus und ich kann wieder nicht mit. Beine und Arme tun inzwischen irrsinnig weh.

22.00 Uhr: Mein Mann „stopft“ mich in die Kompressionsjacke, wieder 60 Minuten mit Ventilator - schwitze wie ein Wasserfall, schlafe trotzdem vor Erschöpfung ein, mein Mann hilft mir aus der Jacke, alles klebt.
Wie machen das Frauen, die alleine leben oder wo der Partner nicht zuhause ist??? Springe schnell unter die Dusche und gehe schlafen...wache nachts oft wegen Schmerzen auf, muss wohl bald auch nachts Kompression tragen - das macht mir Angst, denn die Haut platzt jetzt schon oft auf.
Ach ja... Muss noch die wunden Stellen versorgen, damit ich morgen die Kompression aushalten und überhaupt anziehen kann.

23.00 Uhr: Zum Glück bleibt mein Mann auf, bis die Kompressionswäsche im Kurzprogramm der Waschmaschiene durch ist, sonst habe ich morgen nichts zum Anziehen - morgen um 5.00 Uhr wartet ja schon die Kompressionshose :-)

Varianten der Woche gefällig?

Mittwochs kann ich nie arbeiten, da ich dann Lymph-Drainage habe und in Wassergymnastik gehe und danach meist völlig erschöpft bin, wenn die Spannungsschmerzen endlich mal nachlassen. Wenn die Lymphe „nacharbeitet“, fühlt es sich an wie Muskelkater - nur schlimmer und ich bin einfach nur müde.

Samstags kommt früh der Pflegedienst und wickelt mir die Beine - mit 24 Bandagen an 2 Beinen - dann darf ich kein Auto fahren und bleibe meist zuhause, schön ist anders.

Was alles nicht mehr geht

  • Urlaub in warmen / heißen Ländern
  • Fliegen - da sonst tagelanger Einstau mit Schmerzen folgt
  • Schwimmen im Freibad / am See (ginge nur in Kompression wegen der Hitze) so weit bin ich noch nicht, gehe ins Rehazentrum... An die Blicke werde ich mich nie gewöhnen
  • Ärmellose Kleidung tragen - der Abschluss der Kompression schiebt Wülste hoch und wirft Fragen auf
  • Hohe Schuhe mit Kompression, die Zehen halten den Druck nicht aus
  • Ganze Tage meinen Beruf ausüben - leider nur, wenn ich irgendwie zwischendurch die Beine hochlegen kann für mind. 1-2 Stunden und es beim Kunden klimatisiert ist
  • Im Sommer im Cafe sitzen? Fehlanzeige, in Kompression schießt der Blutdruck dann hoch und der Schweiss läuft aus allen Knopflöchern
  • Meine früheren Hobbys wie Reiten und Tanzen gehen nicht mehr, wegen der Druckempfindlichkeit

Was ich stattdessen tun darf / muss

  • Jeden Tag 2-3 Stunden Kompressionsgerät (zum Glück habe ich eines über die Krankenkasse, aber auch das war ein Kampf), Hautpflege und die Flachstrick-Kompression anziehen
  • Den Tag / die Woche / das Jahr so planen, dass ich irgendwie am Leben teilhaben kann
  • Oft Nein sagen, wenn andere mich fragen, ob wir etwas unternehmen
  • Oft früher nach Hause gehen oder gleich zu Hause bleiben, weil es zu heiß / zu anstrengend ist
  • Mich in der Kompression und bei der Hitze bewegen (Aqua-Sport oder Trampolin zuhause)
  • Die Blicke anderer aushalten
  • Mich erklären
  • Mit den Zukunftsängsten so umgehen, das ich nicht jetzt schon völlig gelähmt bin
  • Alle 2 Jahre eine Entstauungskur machen (lymphologische Reha) 3-5 Wochen MIT Verdienstausfall, zur Erinnerung.... bin selbständig und dort 12 Stunden mit gewickelten Beinen und abwechselnd dem einen und dem anderen Arm bandagiert die Sport- und Bewegungsangebote nutzen

Was das Schlimmste ist?

  • All das nützt nicht genug, obwohl die Ärzte mir bescheinigen, ich mache alles „vorbildlich“
  • Es verschlechtert sich trotzdem
  • Ich habe IMMER Schmerzen
  • Ziehe mich immer mehr zurück
  • Halte die Blicke nicht mehr aus
  • Habe große Angst vor der Zukunft
  • Habe Sorge, meinen Mann, unsere Tochter, meine Familie und die Freunde zu stark zu belasten mit allem, was nicht mehr geht


Claudia E., 50 Jahre, verheiratet, Tochter 19 Jahre,
seit 20 Jahren selbständige Unternehmensberaterin,
Lipödem seit 1999 (Schwangerschaft), Diagnose erst 2015

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Leben und Leiden mit der konservativen Methode
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