Julia

Hallo,  mein Name ist Julia, ich bin 33 Jahre alt und leide am Lipödem.

 

Ich möchte mich auch gerne stark machen und von meiner Geschichte mit der Krankheit Lipödem erzählen! Hier wird ganz deutlich, dass sich diese Krankheit absolut NICHT mit viel Sport oder perfekter Ernährung und Disziplin beeinflussen lässt!
 
Ich hoffe, dass dadurch einige falsch-denkenden Menschen wach gerüttelt werden und ebenso verstehen, welche psychischen Ausmaße diese Krankheit ebenfalls mit sich bringt...!

Dazu muss ich so beginnen, dass ich seit meinem 3. Lebensjahr Sport mache.
Ich habe in der frühen Kindheit angefangen mit dem Reitsport bis ich 13 war mit allem was dazu gehört- Voltigieren, Dressur, Springen und auch das Reiterabzeichen habe ich absolviert.

Ich habe an Turnieren teilgenommen und war bis zu 4x die Woche im Stall.

Mir wurde die Krankheit von väterlicher Seite vererbt, das heißt meine Eltern hatten schon immer Probleme für mich auch schon im Kindesalter Stiefel zu finden, die über meine „nicht vorhandenen“ Fesseln passten. Wir dachten alle, dass das nunmehr bei mir einfach so ist und nicht, dass es eine Krankheit ist. Sonst war ich eigentlich immer ein normal gebautes Mädchen, welches „nur“ etwas kräftige Waden hatte.

In der Grundschule mit ca. 7-8 Jahren begann deswegen das Mobbing. Ja genau- wegen kräftigen Waden, die nicht zu einem Mädchen wie mir passten! Das hat mich so sehr geprägt, dass ich damals schon Angst bekam zu essen und somit meine Essstörung entwickelte. Jedoch wussten meine Eltern nicht wirklich was sie tun sollten außer immer wieder mit mir und den Lehrern zu reden, das half aber nicht wirklich.

Mit Anfang der Pubertät veränderte sich mein Körper weiter obwohl seit dem neunten Lebensjahr zusätzlich Showtanz machte.  Das bedeutet,  ich habe fast täglich Sport gemacht außer sonntags ...
doch meine Waden wuchsen weiter.

Mit 12 und in der Pubertät hat man recht deutlich gesehen, dass die Beine irgendwie nicht „normal“ aussehen und zum Rest passen, obwohl ich noch eine recht normale Figur hatte.  Ich wurde tatsächlich weiterhin auf meine Waden beschränkt und das Mobbing wurde in der weiterführenden Schule schlimmer.  So heftig, dass ich mit 13 Jahren schon psychisch völlig am Ende war und eine Magersucht entwickelte.

Und hier wurde mir persönlich dann zum ersten Mal klar, dass mit mir irgendwas nicht stimmt.  Ich habe mich bei einer Körpergröße von 1,64m auf 46 Kilo runtergehungert bis es nicht mehr weiterging! Mein Körper setzte eine Grenze,  egal wieviel Sport ich machte und egal wie wenig ich aß. Der Umfang meiner Waden und Knie wurden nicht weniger.  Konnte auch gar nicht - heute weiß ich, dass es das kranke Gewebe war, welches resistent ist für Diäten und Abnehmversuche,  aber damals wusste man darüber nichts.  Das mit der Psyche zu vereinbaren war die Hölle.  Man entwickelt Selbsthass weil andere einen nicht akzeptieren und auf Äußerlichkeiten reduzieren. Man gibt sich selbst Schuld, auch wenn man eine unmenschliche Disziplin hat.
Eine Therapie funktionierte bei mir in den jungen Jahren nicht. Ich habe niemanden an mich heran gelassen;  ich wollte einfach nur akzeptiert werden.

Diese Zeit hat mich am meisten geprägt bis heute.

Ich habe mit dem Tanzen Leistungssport betrieben und das bis zum 18. Lebensjahr. Zwischendurch noch Volleyball und Handball gespielt und bis heute 3-5 x die Woche das Fitnessstudio besucht.
Sobald ich nur wenige Zeit mit dem Sport nachgelassen habe, habe ich sofort zugenommen und auf verschiedene Lebensmittel negativ reagiert- ich hatte das Gefühl, dass ich dann anschwelle ...

Während meines Abiturs musste ich teilweise mit dem Sport pausieren und erreichte ein Höchstgewicht von 98 Kilo. Damit will ich nicht sagen, dass das Lipödem mit Sport zu bekämpfen ist - nein - es kämpft sich so durch den Körper und versetzt die Abnahmegrenze. Es ist eine Stoffwechselkrankheit, die es ermöglicht, dass man nur bis zu einer bestimmten Grenze abnehmen kann und das Lipödem sofort durchbricht sobald man nicht mehr übermäßig trainiert. Aber auch das ist irgendwann egal.

Mit 22 Jahren konnte ich durch sehr viel Sport 40 Kilo abnehmen - aber dann ging es mit meiner Depression richtig los. In der Zeit hat sich das Lipödem an den Waden und Knien so ausgeprägt, dass ich angefangen habe akribisch nach Ärzten zu suchen, die mir sagen konnten warum sich dort nichts bei mir verändert.  Aber keiner  von ca. 11 Ärzten in meinem Umkreis konnte mir helfen, niemand.

Zugleich bekam ich JETZT die Schmerzen in den Beinen - NACH dem Gewichtsverlust.  Meine Beine wurden schwer- das Kratzen tat sehr weh und es entstanden Hämatome ohne erkennbaren Grund.  Wenn ein leichter Stoffbeutel nach dem Einkauf gegen meine Waden schlug beim Gehen hätte ich schreien können vor Schmerzen. Das Joggen und Cardiotraining fiel mir immer schwerer.

 

Was wirklich nun klar wurde war- dass die Krankheit nicht nur den Körper von innen durchbricht sondern auch extrem die Psyche.  Gerade als Sportlerin ist mental schwer zu verstehen, warum man mit viel Sport und gesunder Ernährung nicht ab - sondern zunimmt. Das ist der Horror! Zum Glück  hat mir dann als ich 28 Jahre alt war endlich ein guter und kompetenter Arzt durch Zufall sagen können, dass ich eine Krankheit habe. Ich habe die Diagnosestellung vom Phlebologen bestätigt bekommen und war geschockt. Geschockt darüber, dass der Bildungsstand der Ärzte so dermaßen löchrig ist, dass es mir erst nach 20 Jahren jemand sagen konnte.

Seitdem war mir klar, als ich mich in den Facebook Gruppen informierte, dass ich mich operieren lassen werde.  Natürlich mit anständiger konservativer Therapie im Voraus -  Kompression und Lymphdrainage. Den Kampf mit der Krankenkasse habe ich 4 Jahre ausgetragen. Ich wollte es nicht auf mir sitzen lassen, dass die Kostenübernahme für die Liposuktionen mit absolut unmenschlichen und unlogischen Argumenten abgelehnt wird.

Jetzt begann die schlimmste Zeit- das Tragen der Kompression ist eine Qual und hält absolut nichts auf außer etwas die Schmerzen! Im Jahr 2016 habe ich innerhalb von wenigen Tagen einen extremen Schub bekommen. Man beachte, dass ich zu dieser Zeit immer noch Sport gemacht habe und durch den Arbeitsstress täglich eine Kalorienzufuhr von max. 700 Kalorien täglich hatte. Der Schub resultierte in zwei Hosengrößen mehr. Die Arme waren mittlerweile auch befallen und vergrößerten sich auch schnell im Umfang.  Ist das logisch? Ich glaube nicht!
 
Die Depressionen wurden natürlich noch schlimmer - ein Gefühl von Unverständnis- Hilflosigkeit und Selbsthass. Mittlerweile hatte ich von den abgenommenen 40 Kilo wieder 25 drauf! Und es war nur krankes Fett. Die Disziplin blieb dieselbe.

Ich habe mir einen Kredit von 30.000€ aufgenommen und mich dann 2017 von Dr. Reba aus Hannover operieren lassen!

 

Fast den ganzen Körper- komplette Beine - Hüfte- Arme- unterer Rücken und Bauch. Die letzte Operation ist jetzt 8 Monate her und ich kann nach dem ganzen unbeschreiblichen Drama nur sagen, auch wenn die OPs kein Spaziergang sind und man auch danach viel beachten muss- ich es niemals bereuen werde und alles besser ist als vorher.  Die Schmerzen sind weg und meine Beine sind so leicht wie noch nie. Zudem sind die Depressionen wie weggeschnipst- man hat ein völlig anderes Körpergefühl, ich fühle mich wie ein neuer Mensch.

Das Lipödem ist wirklich wie eine falsche Schicht, die über deinen Körper gelegt wird die nicht zu einem gehört! Absolut Sport und Ernährungsresistent,  und ich als Leistungssportlerin kann das sehr gut behaupten.

Ich kann ebenfalls mit Sicherheit sagen, dass ich ohne Operationen nicht nur seelisch ein Wrack gewesen wäre sondern auch gerade körperlich, gerade weil die Schübe in den letzten Monaten vor OP Beginn extrem schnell ausbrachen. Und dann mit vielleicht Mitte 40 schon arbeitsunfähig? So wie viele Betroffene schon von uns? Nein danke!

Ich hoffe, dass die Verantwortlichen jetzt endlich wach werden und den Ernst der Lage erkennen!

 

Julia B.